Buchrezension
The Hate U Give – Angie Thomas
Seiten: 512
Preis: 17,99 Euro
Der Inhalt:
Die 16-jährige Starr lebt in zwei Welten: in dem verarmten Viertel, in dem sie wohnt, und in der Privatschule, an der sie fast die einzige Schwarze ist. Als Starrs bester Freund Khalil vor ihren Augen von einem Polizisten erschossen wird, rückt sie ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Khalil war unbewaffnet. Bald wird landesweit über seinen Tod berichtet; viele stempeln Khalil als Gangmitglied ab, andere gehen in seinem Namen auf die Straße. Die Polizei und ein Drogenboss setzen Starr und ihre Familie unter Druck. Was geschah an jenem Abend wirklich? Die Einzige, die das beantworten kann, ist Starr. Doch ihre Antwort würde ihr Leben in Gefahr bringen …
Der erste Satz:
Ich hätte nicht auf diese Party gehen sollen.
Meine Meinung:
Starr und Khalil sind auf dem Heimweg von Big Ds Spring-Break-Party, als sie von einem Polizisten angehalten werden. Einem weißen Polizisten, der Khalil schikaniert, ihn erst aus dem Wagen zerrt und erschießt. Kurz darauf wird auf sämtlichen Nachrichtensendern darüber berichtet. Es heißt, der getötete schwarze Junge wäre ein Drogendealer gewesen und hätte im Seitenfach seines Autos nach seiner Waffe gegriffen, als der Polizist ihm den Rücken zugekehrt hatte. Da musste er doch schießen, oder? Dass das völliger Blödsinn ist, dass Khalil unschuldig ist, weiß Starr. Aber was bringt es ihr, mutig sein und das richtig stellen zu wollen? Würde ihr überhaupt jemand zuhören? Glauben? Würde sie vor Gericht Recht bekommen?
Ich war noch nie in den Vereinigten Staaten. Ich kenne das Leben nicht, von dem Angie Thomas in ›The Hate U Give‹ berichtet. Nicht wirklich zumindest. Aber durch die Worte der 16-jährigen Starr wurde ich als Leser gepackt und mit voller Wucht hineingeschleudert. Ich konnte mich nicht wehren, emotional war ich bereits nach wenigen Seiten wie gelähmt, und ich verfolgte Starrs Gedankengänge ebenso verzweifelt, wie sie versuchte, sich Gehör in dieser ekligen Masse voller Regeln, Rassismus und Ungerechtigkeit zu verschaffen.
Es gibt viele Bücher, die über die Historie der Schwarzen in den USA berichten, aber dieses hier ist topaktuell. Auf brutale Art und Weise und extrem authentisch wird dargestellt, was es bedeutet, heutzutage ein dunkelhäutiger Teenager in Amerika zu sein. Welch große Rolle noch immer Hass und Rassismus spielen, welche Vorurteile noch immer bestehen und wie schwer es ist, permanent gegen diese ankämpfen zu müssen, nicht nur gegenüber der Polizei, sondern auch gegenüber beispielsweise weißen Mitschülern. Deshalb fällt es Starr auch so schwer, sie selbst zu sein auf der Privatschule, auf die sie geht und auf der sich neben ein paar Ausnahmen fast nur weiße Jugendliche tummeln. Ganz genau denkt sie darüber nach, was sie im Klassenzimmer tut und im Schulflur sagt, nur, um ja kein Vorurteil gegenüber schwarzen Ghettokids zu bestätigen und ihnen ja keinen Grund zu geben, sich bestätigt zu fühlen. Und deshalb plagen Starr auch immer wieder Zweifel an der Beziehung, die sie mit ihrem weißen Mitschüler Chris führt. Dabei hat er ihr seine Liebe doch schon längst gestanden, indem er für sie die Titelmelodie von ›Der Prinz von Bel-Air‹, ihrer absoluten Herzensserie, für sie rappte.
Den Slang, der von Starr, ihrer Familie und den Leuten aus Garden Heights gebraucht wurde, nahm ich auf Deutsch hingegen als weniger authentisch wahr. Ich kann nicht einmal sagen, dass die Übersetzung nicht gelungen ist, denn das ist sie, vermutlich ist es nur einfach ein Buch, das man im Original lesen sollte. Am Ende findet sich ein Glossar, das ich als wichtig und nützlich empfand. Ich empfehle, es unbedingt durchzusehen, denn es schafft noch einmal einen ganz anderen Zugang, vermittelt die Bedeutung von Slangbegriffen, über die man so vielleicht achselzuckend hinweggelesen hätte.
Der Roman ist aufgeteilt in fünf Teile, die einen zeitlichen Rahmen für das Geschehene erstellen: Als es passiert, fünf Wochen später, acht Wochen später, zehn Wochen später, die Entscheidung. Aufgrund der Ich-Perspektive ist man stets ganz nah bei Starr, doch auf den 512 Seiten passiert nicht nur etwas mit ihr selbst, sondern auch ihr Umfeld beginnt sich zu wandeln.
Erzählt wird die Geschichte eines 16-jährigen Mädchens, aber letzlich geht sie jeden von uns etwas an. Deshalb ist ›The Hate U Give‹ von Angie Thomas für mich auch kein reines Jugendbuch, es ist ein Roman, dem alle zuhören sollten.
Fazit:
›The Hate U Give‹ von Angie Thomas ist brutal ehrlich, ebenso erschreckend wie ergreifend und dabei irgendwie ziemlich grandios. Am Beispiel der 16-jährigen Starr, einem klugen und toughen Mädchen mit großem Herzen, wird dem Leser aufgezeigt, was es bedeutet, heutzutage ein dunkelhäutiger Teenager in Amerika zu sein. Welche Rolle noch immer Hass und Rassismus spielen, wie klein man sich manchmal fühlt und wie schwer es ist, sich von festgefahrenen Vorurteilen zu befreien. Ein Roman zum Nachdenken, zum Schreien, zum Weinen, zum Weitersagen. Ganz klare Leseempfehlung!
Bewertung:
6 von 6 Regentropfen, die knallhart auf dem Boden aufschlagen und uns alle wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht treffen – mutig und ehrlich.
Alle schwärmen so von diesem Buch!
Ich muss es wirklich mal lesen, traue mich aber schon seit Monaten nicht heran.
Aber deine Rezi hört sich super an und macht mich wieder etwas neugieriger und auch mutiger, mich einfach mal darauf einzulassen.
LG
Effi
Es ist ein krasses Thema und es wird dich mit Sicherheit mitnehmen und nicht so leicht wieder loslassen, aber es ist auch ein wichtiges Thema – und ein wichtiges Buch!
Deswegen: sei mutig und lies es!
Eine schöne Rezension, der ich mich nur anschließen kann. „The Hate U Give“ hat auch mich mitgerissen, zum Nachdenken gebracht und oft ganz erschrocken zurückgelassen. Vor allem, weil dieser teilweise auch unterschwellige Rassismus ja nicht nur ein Problem der USA ist, sondern auch unseres. Das „Ich hab ja nichts gegen (beliebige ethnische Gruppe), aber…“ geht mir total auf die Nerven, was sich im Buch ja sehr gut durch Starrs Freundin hat wiederfinden lassen.
Ich fand aber auch, dass der Slang im Deutschen nicht perfekt rüberkam. Vor allem hat mich da aber gestört, dass dieser auch in unpassenden Momenten in der Übersetzung angewendet wurde – indem beispielsweise bei Chris immer vom „Boyfriend“ die Rede war, was ich echt seltsam fand. Allzu sehr ins Gewicht gefallen ist es aber auch bei mir nicht.
Schön, dass wir uns ansonsten so einig sind. Ich halte dieses Buch auch für extrem wichtig und hoffe, dass es viele Leser findet.