Buchstabenregen  


Buchrezension

Tschick – Wolfgang Herrndorf

Seiten: 256

Preis: 9,99 Euro

  

Rowohlt Taschenbuch Erschienen: 1. März 2012 ISBN 978-3-4992-5635-6

Der Inhalt:

Mutter in der Entzugsklinik, Vater mit Assistentin auf Geschäftsreise: Maik Klingenberg wird die großen Ferien allein am Pool der elterlichen Villa verbringen. Doch dann kreuzt Tschick auf. Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, kommt aus einem der Asi-Hochhäuser in Hellersdorf, hat es von der Förderschule irgendwie bis aufs Gymnasium geschafft und wirkt doch nicht gerade wie das Musterbeispiel der Integration. Außerdem hat er einen geklauten Wagen zur Hand. Und damit beginnt eine Reise ohne Karte und Kompass durch die sommerglühende deutsche Provinz, unvergesslich wie die Flussfahrt von Tom Sawyer und Huck Finn.

 

Der erste Satz:

Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.

 

Meine Meinung:

Ich mag Coming-of-Age-Romane. Diesen hier ganz besonders. Das hat mehrere Gründe. Erstens, weil er von einem deutschen Autor geschrieben wurde, in Deutschland spielt und die Identifikation deshalb ganz automatisch leichter fällt. Zweitens, weil die ganze Geschichte in ein super-cooles Roadnovel verpackt ist. Drittens, weil der Schreibstil so echt und ehrlich ist, einem nie auch nur ein einziges Mal etwas vorspielt und solchen Spaß bereitet. Ich habe beim Lesen eines Buches selten so viel gelacht wie bei ›Tschick‹. Und bin beeindruckt, dass in einem so komischen Buch noch so viel Zeit für tiefgründige Gedanken zum Thema Zugehörigkeit, Freundschaft, Familie und Liebe sowie weise Ratschläge bleibt.

Ein Spruch, der auch zu diesem Buch passt: »Der Weg ist das Ziel!« Denn obwohl das Ende der Geschichte zu Beginn des ersten Kapitels steht, will man ›Tschick‹ unbedingt lesen. Man will erfahren, wie es dazu kam. Und vor allem will man wissen, wer sind diese beiden Jungs überhaupt – Maik und Tschick? Warum waren sie auf dem Weg in die Walachei? Und was haben sie uns von ihrem Abenteuertrip zu erzählen?

Und dann geht es los, und man erfährt so viel in so kurzer Zeit, dass einem kaum Zeit zum Luftholen und Umblättern bleibt. Erzählt wird das Ganze im Präteritum aus der Ich-Perspektive des 14-jährigen Maik Klingenberg, der in Berlin aufs Gymnasium geht und in seiner Klasse eher untergeht. Wenn ihn jemand kennt, dann als Langweiler oder Psycho, dessen Mutter aufgrund ihres Alkoholproblems regelmäßig eine Entzugsklinik aufsucht. Freunde hat er ebenso wenig wie einen Spitznamen. Aber natürlich gibt es da dieses eine Mädchen, das alle toll finden und in das Maik heillos verliebt ist. Tatjana. Und Tatjana ist auch der Grund, weshalb Maik sich von Tschick überhaupt überreden lässt, auf den Beifahrersitz des geklauten, hellblauen Ladas zu steigen.

Denn eigentlich ist das eine völlig absurde Idee. Maik und Tschick sind ja nicht einmal richtige Freunde. Tschick, mit vollem Namen Andrej Tschichatschow, ist der neue Mitschüler von Maik und eigentlich weiß der von ihm nur das, was im Flurtratsch so erzählt wird und das, was er in scheinbar stets sarkastischem Ton von sich preis gibt: Er ist Russe und gleichzeitig jüdischer Zigeuner, er hat einen älteren Bruder, der weiß, wie man Autos knackt und Vorfahren, die aus der Walachei stammen – und Maik Klingenbergs Lieblingsjacke und den Pool in dessen Garten, die findet er »geil«.

Ohne Kompass, ohne Landkarte, ohne Backofen oder Grill, aber mit Tiefkühlpizza im Kofferraum machen die beiden Jungs sich auf, um in den Sommerferien der Langeweile zu entfliehen und etwas zu erleben.

Als Leser schließt man beide sehr schnell ins Herz und begleitet sie gerne auf ihrer Reise. Oftmals fühlt es sich beim Lesen sogar so an, als säße man – wieder 14 Jahre jung – mit ihnen im Auto; auf einem der hinteren Sitze und unsichtbar zwar, aber vor Ort, sodass man das Gefühl hat, immer hautnah mitzubekommen, was die beiden so reden und als Nächstes anstellen. Antworten gibt das Buch nicht direkt, aber beim Lesen hat man dennoch das Gefühl, sein jüngeres Ich wiederzuerkennen, irgendwo angekommen zu sein und etwas Wichtiges über das Älterwerden und das Jungbleiben gelernt zu haben.

 

Fazit:

›Tschick‹ ist ein Buch, das ich auch in 50 Jahren gerne noch einmal aus dem Regal ziehen und lesen werde. Es liest sich schnell, spannend und witzig und ist trotz des sehr jugendlichen Schreibstils nicht nur etwas für Teenager. Der Autor nimmt einen nicht nur mit auf einen verrückten Roadtrip und in den Kopf des 14-jährigen Maik Klingenberg, nein, er lässt einen ein stückweit auch selbst wieder 14 Jahre alt sein.

 

Bewertung:

6 von 6 Regentropfen, die sich immer wieder gerne an die Windschutzscheibe eines geklauten Ladas kleben, um Abenteuer zu erleben.

Danke fürs Lesen!

Steffi